Von Alexander Appel, Manager Sustainability & Mobility Transformation, Management- und IT-Beratung MHP
Wollen Unternehmen einen effektiven Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten, müssen sie ihre Klimawirkung ermitteln. Erst dann haben sie die Möglichkeit, wissenschaftsbasiert verschiedene Zukunftsszenarien zu betrachten und ihre Performance anzupassen. Ein neues Modell vereinfacht die Berechnung und verspricht eine schnelle Umsetzung.
Es gibt unterschiedliche Wege zur Dekarbonisierung, je nach der Ausgangssituation, der Strategie und den Zielen eines Unternehmens. Das allgemeine Ziel ist allerdings klar: Die schrittweise Reduktion von CO2-Emissionen. Um Maßnahmen vergleichbar zu machen und Transparenz zu schaffen, sind die S-Kriterien von ESG sowie die einfache Darstellung des CO2- sowie Energieverbrauchs eines Unternehmens in Form einer Gradzahl äußerst hilfreich. Es ist von Vorteil, den Fußabdruck nicht wie üblich in Tonnen CO2-Äquivalent, sondern in Grad Celsius anzugeben. Damit stellt letztere eine intuitiv verständliche, sektorspezifische und Assetklassen-übergreifend vergleichbare Maßeinheit dar. Unternehmen können ihre Portfolios dadurch einfacher und schneller auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens abstimmen.
Fokus auf Scope-3-Emissionen legen
Geschwindigkeit ist beim Thema Dekarbonisierung ein wichtiger Aspekt. Die Europäische Union gibt mit dem European Green Deal ganz klar vor, dass ihre Mitgliedsstaaten bis 2050 klimaneutral sein sollen. Um dies zu erreichen, erhöht sie unter anderem mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) den Handlungsdruck; die bereits bestehende Berichtspflicht wurde zuletzt massiv erweitert. Statt 11.600 sind jetzt etwa 49.000 Unternehmen innerhalb der EU berichtspflichtig. Die neuen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verlangen zudem verständlichere, vergleichbarere und detailliertere Nachhaltigkeitsinformationen. Unternehmen, die nicht oder nicht korrekt berichten, werden erheblich bestraft. Sie brauchen daher konkrete Dekarbonisierungsstrategien und müssen zügig in die Umsetzung kommen.
Tempo nehmen Unternehmen vor allem dann auf, wenn sie für ihre Strategie eine revisionssichere Methodik wählen, die über den Standard hinausgeht und den Fokus auf die Bewertung besonders intensiver Scope-3-Emissionen legt. Oft ziehen Unternehmen die SBTi-Methodik heran, doch die reicht aus verschiedenen Gründen nicht aus: sie evaluiert die Scope-3-Ziele, klassifiziert sie aber nicht. Dadurch lassen sich sowohl CO2-Emissionen als auch unternehmensspezifische CO2-Budgets unzureichend messen bzw. berechnen.
Messung in der gleichen Einheit wie das Ziel
Doch es gibt bereits SBTi-Ergänzungen am Markt, die den steigenden Anforderungen gerecht werden. Hervorzuheben unter den verfügbaren Instrumenten ist das X-Degree Compatibility-Modell (XDC) von right°, das auf globalen Klimamodellen beruht, auf die sich auch der IPCC-Bericht des Weltklimarats stützt. Es berücksichtigt drei Faktoren, die obligatorisch für die Berechnung der Klimaperformance eines Unternehmens sind: Full Scope Emissionen (Scope 1-3 Emissionen nach dem Greenhouse Gas Protocol), EBITDA-Angaben und die Personalkosten. In einem ersten Schritt wird die Emissionsintensität ermittelt. Anschließend werden sektorspezifische Benchmarks für das analysierte Unternehmen definiert. Dann wird die Klimaperformance in Relation zu den Benchmarks für jedes Jahr bis zum Jahr 2100 berechnet. Schließlich wird der Grad auf globalen Maßstab hochgerechnet. Mit Szenario-XDCs kann ein Unternehmen sein individuelles, 1,5-Grad-konformes Klimaziel festlegen.
Letztendlich liefert die Berechnung wissenschaftlich fundierte Kennzahlen, die Klimarisiken- und -chancen in direktem Bezug zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens transparent macht. Unternehmen können dadurch beispielsweise einen internen CO2-Preis festlegen, über den sich wiederum Emissions-Risiken quantifizieren lassen. Da das XDC-Modell der „Rechenkern“ eines spezialisierten Software-Tools ist, ist die Berechnung spezifischer Anforderungen und Prozesse möglich. Unternehmen aller Branchen können es also nutzen und unterschiedliche Sektoren vergleichen.
In vier Schritten zur Veränderung
Steuerungsmodelle wie das XDC-Modell sind ein wichtiger Teil, um Klimatransformationspläne effektiv umzusetzen. Die Transformation zum nachhaltigen Wirtschaften ist aber wesentlich umfangreicher. Damit sie gelingt, muss das gesamte Operating Model orchestriert verändert werden. Dazu gehören tiefgreifende Veränderungen in den Dimensionen Geschäftsmodell, Betriebsabläufe, Produkte und Dienstleistungen, Daten und Unternehmenskultur hin zu mehr Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, einer Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Lieferketten.
Anstoßen können Unternehmen diese Veränderung wie folgt:
Bestandsaufnahme machen: Die Bestimmung der gesamten Unternehmensemissionen sowie der produktspezifischen Emissionen sind die Grundlage für effektive Maßnahmen. Einen allgemeinen Standard bietet die Bilanzierung nach dem Greenhouse Gas Protocol.
Ziele setzen: Sobald die Hotspots identifiziert sind, gilt es, klare, messbare Klimaziele zu definieren. In diesem Zuge empfiehlt es sich, eine Roadmap zu den Reduktionspotenzialen und Reduktionszielen aufzustellen. Erst wenn es ein Commitment zu den Zielen einer nachhaltigen Transformation und ein transparentes Berichtswesen zu den Fortschritten gibt, können klimatische und finanzielle Mehrwerte entstehen.
Maßnahmen planen: Eine klare Roadmap hilft, konkrete Schritte zur Reduktion von Emissionen festzulegen und die formulierten Maßnahmen konsequent umzusetzen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Frameworks und Leitfäden, die Unternehmen dabei unterstützen können, wie die Science Based Target Initiative.
Monitoring durchführen: Mithilfe von Ziel-KPIs wie Kosten, Nutzen, Umsetzungsdauer und Komplexität kann der Fortschritt evaluiert, Maßnahmen regelmäßig angepasst und iterativ weitere Maßnahmen gebildet werden. Durch eine zeitliche Eingrenzung und die damit verbundene Identifikation von Kurz-, Mittel- und Langzeitzielen werden Teilerfolge sichtbar, ohne dass das große Ziel aus den Augen verloren wird.
Dekarbonisierung als Investitionschance betrachten
Die Transformation zum nachhaltigen Wirtschaften sollte nicht nur als Pflicht, sondern auch als große Investitionschance für die Industrie betrachtet werden: Langfristig gesehen rechnen sich Dekarbonisierungsmaßnahmen wirtschaftlich, etwa durch verringerte Betriebskosten und stärkere Personalbindung. Unternehmen, die eine strenge Strategie verfolgen, können sich frühzeitig Wettbewerbsvorteile sichern.
Da Unternehmen im Schnitt zweieinhalb Jahre benötigen, um eine 1,5-Grad-Strategie zu entwickeln, sollten sie zeitnah starten. Unterstützung bieten Instrumente wie das XDC-Modell. Es beantwortet die Frage, um wieviel Grad Celsius sich das Klima erwärmen würde, wenn die gesamte Welt die gleiche Klima-Performance hätte wie die betrachtete Organisation. Das macht das Ableiten und anschließende Implementieren sektorspezifischer Dekarbonisierungsstrategien in bestehende Prozesse so einfach wie nur möglich und erleichtert die CSRD-Compliance erheblich. Bei der Umsetzung flexibler Maßnahmen entlang des 1,5-Grad-Pfades kann ein erfahrener Technologie- und Businesspartner helfen. Er unterstützt die Digitalisierung von Prozessen und Produkten und begleitet IT-Transformationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
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