Von Thomas Gregor Gawlitta, Founder Impact Insider
Die Gebäude- und Baubranche steckt in einer Transformation – zumindest im Zugzwang eben dieser, denn sie ist sowohl global als auch europaweit immer noch die Branche mit dem größten CO2-Ausstoß. Laut UN-Report aus dem Jahr 2022 ist der Gebäudesektor für 39 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, 28 Prozent entfallen dabei auf die Energieversorgung, die restlichen elf Prozent auf Material und Bau. Dass die Bundesregierung bis 2045 klimaneutral sein will und die EU sich zum Ziel gemacht hat, den Gebäudebestand bis 2050 emissionsfrei zu bekommen, scheint vor diesem quantitativen Hintergrund utopisch. KI.
Im Zuge des europäischen Green Deals wurden die Richtlinien für Gebäude über die Gesamtenergieeffizienz angepasst. Die Immobilienbewertung muss als Folge neu gedacht werden. Einfamilienhäuser und Ladenflächen, Mietwohnungen und Flughäfen – die komplette Anlageklasse, die den Aktienmarkt in ihrem Kapitalvolumen übersteigt, ist nun überbewertet, weil die Folgekosten des CO2-Ausstoßes in der Vergangenheit nicht genug berücksichtigt wurden. Es reicht also nicht, Neubauten möglichst klimaneutral zu entwickeln und zu produzieren – es sind vor allem die Bestandsgebäude, die dekarbonisiert werden müssen. In der EU wurden 85 Prozent der Gebäude vor 2001 errichtet. Damit verfügen sie nicht über die angestrebte Energieeffizienzklasse und stehen der ökologischen Transformation des Gebäudesektors im Weg.
Veränderung braucht Innovation
In einer Pressemitteilung von Dezember 2023 erklärte die EU-Energiekommissarin Kadri Simson: „Renovierungen sind Investitionen in eine bessere Zukunft. Sie verbessern die Lebensqualität, ermöglichen es den Menschen, ihre Ersparnisse für andere Dinge zu nutzen und unterstützen die Wirtschaft.“ Renovierungen allein reichen aber nicht. Es braucht innovative Ideen und Pilotprojekte, aus denen sich best-practice-Beispiele als Vorreiter-Modelle herausentwickeln können. Und vor allem braucht es Einheitlichkeit, die Vergleichbarkeit im gesamten Sektor möglich macht. Seit einigen Jahren ist Dekarbonisierung oder NZC (net zero carbon) als normative Begrifflichkeit in aller Energieberater- und Bauunternehmer-Munde. Wie genau dieser Prozess stattfinden soll, wird bislang allerdings oft individuell geregelt. Das ist ein Problem.
Unzählige deutsche und internationale Start-Ups haben sich diesem Problem bereits angenommen. Wir wollen sie namentlich nicht einzeln vorstellen, unser Fokus soll auf dem Gesamtkonzept und der dahinterstehenden Idee einer Vereinheitlichung von KI-unterstützer CO2-Einsparung, Sanierung und Planung im Gebäudesektor liegen. Bevor wir die Potenziale digitaler Technologien vorstellen, zeigen wir ganz konkrete Beispiele auf, die zeigen, wie eine Dekarbonisierung bei Bestandsgebäuden zu realisieren ist.
Natur ist keine unendliche Ressource
Jede Veränderung ist von mindestens einer Erkenntnis getrieben. In diesem Fall ist es die offensichtliche Tatsache, dass die Natur keine unendliche Ressource ist, an der man sich kostenlos bedienen kann. Zur ökologischen Transformation im Gebäudebereich gehört also auch die faire Bepreisung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Die Möglichkeiten der Gebäude-Dekarbonisierung sind groß. Solaranlagen, Wärmepumpen und Gebäudebegrünung sind dabei wohl naheliegender, als beispielsweise die Reduktion von grauer Energie oder das Umdenken hin zu einer Kreislaufwirtschaft. Weil Vermietende und Mietende, Staat und Markt, Privatwirtschaft und Öffentlichkeit bei dem Mammutprojekt Dekarbonisierung des Gebäudesektors an einem Strang ziehen müssen, braucht es einheitliche und allgemein anwendbare Lösungen. KI kann hier der Schlüssel sein!
KI bringt den Bausektor als fragmentierte Industrie zusammen
Dekarbonisierung kann nur funktionieren, wenn man das Projekt ganzheitlich denkt und von allen Ebenen beleuchtet. KI kann sowohl bei der CO2-Einsparung von Bestandsgebäuden als auch bei dessen Sanierung und bei der Planung von Neubauten unterstützen. Besonders gut einsetzbar ist KI, wenn es um die Berechnung von Umweltauswirkungen von Scope eins bis drei und die Optimierung dieser Auswirkungen geht. Durch großflächige Simulationen kann der minimale Energie- und Ressourcenverbrauch berechnet werden. Es gibt bereits Programme, die den CO2-Verbrauch von unterschiedlichen Gebäude-Prototypen visualisieren und Werkzeuge für serielles Sanieren von Bestandsgebäuden entwickeln, um die Transformation zu beschleunigen.
Digitalisierung und KI machen Transparenz und damit Erkenntnis und Vision im Prozess der ökologischen Transformation des Gebäudesektors erst ganzheitlich möglich, denn erst wenn CO2Verbrauch und Einsparungspotenzial niedrigschwellig zugänglich sind, kann sich ein Interesse entwickeln, eben diesem Potenzial nachzugehen und entsprechende Stellschrauben zu drehen. Als Beispiel seien KI-gestützte Überwachungs- und Analyseaufgaben komplexer Energie-Management-Systeme, wie Heizungsoptimierungssysteme genannt. KI macht Gebäudeautomation, die zu nennenswerten Einsparungen im Gebäudebestandsbereich führen, möglich. Laut Frauenhofer Institut sind mit Techniken der Gebäudeautomation Einsparungen von bis zu 20 Prozent möglich.
KI hat außerdem das Potenzial, beim zirkulären Bauen zu unterstützen. Bestandsgebäude können einfach analysiert und auf wiederverwendbare Materialien überprüft werden. So kann ein digitaler Gebäuderessourcenplan entstehen, der Transparenz und Planungssicherheit bietet.
Der Bausektor ist eine fragmentierte und energieintensive Industrie. Die notwendige und in europäischen Richtlinien festgelegte Transformation kann nur funktionieren, wenn best-practice Beispiele international geteilt und manifestiert werden. KI wird die Weichen dafür stellen müssen, indem sie überwacht, analysiert und anhand von kontinuierlichem Monitoring den CO2-Ausstoß minimiert. Nur so kann die Dekarbonisierung auf einem Level funktionieren, dass den internationalen Standards entspricht und einen tatsächlichen Impact auf den Klimawandel und die Zukunft unseres gesamten Planeten hat.
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