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Direct Air Capture: Game Changer oder teures Placebo?

Autorenbild: Thomas GawlittaThomas Gawlitta

Von René Haas


Der überlaufenden Badewanne den Stöpsel ziehen -  warum Direct Air Capture der Schlüssel zu einer Netto-Null-Zukunft sein könnte


Direct Air Capture: Game Changer oder teures Placebo? CO2

Stell Dir die Atmosphäre wie eine Badewanne voller Wasser vor. Der Wasserhahn ist voll aufgedreht und lässt immer mehr Wasser einlaufen - das sind unsere CO2-Emissionen. Jetzt können wir Emissionen reduzieren oder ausgleichen, den Hahn also etwas zudrehen und den Zufluss drosseln, aber die Wanne läuft trotzdem über. Was wir wirklich tun müssen, ist es, den Stöpsel zu ziehen und das überschüssige Wasser abfließen zu lassen. Genau das macht Direct Air Capture: Sie verlangsamt nicht nur die CO₂-Zufuhr, sondern zieht das CO₂ aktiv heraus und senkt so die Gesamtwert in der Atmosphäre.



Bild 1: Die Analogie der Badewanne (Quelle: Ecologi)
Bild 1: Die Analogie der Badewanne (Quelle: Ecologi)

Aber wie bei einer verstopften Badewanne ist es nicht so einfach, den Stöpsel herauszuziehen und zuzusehen, wie das Wasser abfließt. Der Abfluss (Technologien zur CO2-Entnahme wie z.B. Direct Air Capture, DAC) ist im Vergleich zur Größe des Problems derzeit zu winzig. Viele Menschen, auch Umweltorganisationen, sind skeptisch. Sie sehen in Technologien zur CO2-Entnahme (engl.: Carbon Dioxide Removal, CDR) eine Art „teures Placebo“ - eine Ablenkung von der dringenden Aufgabe, Emissionen überhaupt zu reduzieren. Aber jetzt kommt der Clou: Klimawissenschaftler sind sich einig, dass diese Technologien nicht optional sind, wenn wir wirklich Netto-Null erreichen wollen. Sie sind unverzichtbar.


Die fünf wichtigsten Wege, um unsere Klimaziele zu erreichen - den Verkehr zu elektrifizieren, das Stromnetz zu dekarbonisieren, die Landwirtschaft zu reformieren, die Natur zu schützen und die Industrie zu transformieren - sind zwar entscheidend, werden aber nicht ausreichen. Bis 2050 werden wir trotzdem mindestens 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen müssen. Einfach ausgedrückt: Ohne CO2-Entnahme (CDR) werden die Netto-Null-Ziele nicht erreicht werden können. Wie der Weltklimarate (IPCC) es ausdrückt: „Der Einsatz von Kohlenstoffsequestrierung (CDR) zum Ausgleich schwer abbaubarer Restemissionen ist unvermeidlich, wenn Netto-Null-CO2- oder Treibhausgasemissionen erreicht werden sollen“.



Bild 2: Emissionsreduzierung für Netto-Null nach Sektoren. Die schraffierten Reihen im Diagramm veranschaulichen die erforderlichen Reduzierungen - einige Emissionen allerdings unvermeidbar (Quelle: CTVC)
Bild 2: Emissionsreduzierung für Netto-Null nach Sektoren. Die schraffierten Reihen im Diagramm veranschaulichen die erforderlichen Reduzierungen - einige Emissionen allerdings unvermeidbar (Quelle: CTVC)

Wir brauchen also diese Technologien, aber wie viel bringen sie aktuell tatsächlich? Leider noch nicht viel. CDR-Unternehmen können derzeit nur kleine Mengen CO₂ entfernen, aber dank der Unterstützung durch die Politik und wichtiger Zusagen von Unternehmen wie Microsoft, Amazon und Airbus kommt der Markt in Schwung. Bisher wurden bereits CO₂-Entnahme-Zertifikate (“Carbon Removal Credits”) im Wert von mehr als 3 Mrd. USD verkauft. Dabei ist aber zu beachten, dass bisher weniger als 4 % der Zertifikate zu einer tatsächlichen Entnahme geführt haben.



Figure 3: Total Sales of CO2 removal (Source: CDR.fyi)
Figure 3: Total Sales of CO2 removal (Source: CDR.fyi)

Das wirft natürlich eine berechtigte Frage auf: Lassen wir Unternehmen für ein grünes Image bezahlen, anstatt echte Fortschritte zu erzielen?


Die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) ist bereits ein bewährtes Instrument zur Verringerung von Emissionen, aber sie hilft nur, das abzufangen, was wir noch aktiv emittieren. Nachdem wir unser Bestes getan haben, um die gesamte Industrie zu dekarbonisieren, bleibt immer noch eine Restverschmutzung übrig - die unvermeidlichen Emissionen aus kritischen Sektoren wie Zement, Stahl und Chemikalien. 

Hier kommt DAC ins Spiel. Es nimmt CO₂, das bereits in der Luft ist, und entfernt es wieder. Die Kritiker von DAC argumentieren, dass es Unternehmen einen Vorwand bietet, verschmutzende Geschäftspraktiken aufrechtzuerhalten, gleichzeitig aber von einem grünen Image profitieren können - im Grunde genommen werde also für die Verschmutzung bezahlt. Letztlich sieht die Realität jedoch ganz anders aus: Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die in die CO2-Entnahmen investieren, tatsächlich schneller dekarbonisieren. CDR ist keine Alternative zur Dekarbonisierung, sondern ergänzt sie. Es ist kein “Entweder-oder” sondern ein "Sowohl-als-auch", um alle Emissionsformen abzudecken.

Darüber hinaus wäre es kurzsichtig, CDR komplett abzulehnen. Für Industrien, deren Emissionen nicht vermieden werden können, ist CDR der einzige gangbare Weg zu Netto-Null-Emissionen. Und unter diesen Lösungen ist DAC eine der vielversprechendsten - sie ist skalierbar, bietet langfristige CO₂-Speicherung und benötigt keine großen Mengen an Land. 

Wo stehen wir jetzt bei Direct Air Capture?

Wie funktioniert Direct Air Caputre? Das Konzept ist eigentlich ziemlich elegant: Riesige Ventilatoren saugen Luft in Maschinen, in denen spezielle Filter das CO₂ einfangen. Anschließend kann dieses CO₂ unterirdisch gelagert oder sogar in Baumaterialien wie Zement verwendet werden. Aber was in der Theorie einfach klingt, ist es nicht unbedingt in der Praxis.


DAC steckt noch in den Kinderschuhen, der technologische Reifegrad liegt bei etwa 5 oder 6 auf einer 9-Punkte-Skala. Die Technologie funktioniert, ist aber noch weit davon entfernt, wirtschaftlich rentabel zu sein. Derzeit hat die größte jemals gebaute DAC-Anlage – die jährlich 4.000 Tonnen CO₂ abscheiden kann – den Preis ihrer Zertifikate auf 1.500 US-Dollar pro Tonne festgesetzt, während die Kosten für den Ausstoß dieser Tonne im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) nur 69 Euro betragen (Stand: 25. November 2024). Selbst auf dem Höhepunkt von 100 € im letzten Jahr ist es immer noch viel billiger, CO₂ auszustoßen, als es aus der Luft zu entfernen. Bis DAC wirtschaftlich wettbewerbsfähig wird – und bis Vorschriften die Emittenten dazu zwingen, so viel zu entfernen, wie sie ausstoßen – wird es ein langer Kampf sein.


Ein Hauptgrund für diese hohen Kosten ist der Energiebedarf. Der Betrieb von DAC-Systemen erfordert viel Strom. Bei NeoCarbon arbeiten wir daran, die Energieeffizienz zu steigern, indem wir die Abwärme von bestehender Infrastruktur nutzen. Normalerweise wird diese Abwärme einfach verschwendet und über Kühltürme abgeleitet. Also nutzen wir sie. Durch die Nutzung der Energie, die sonst verschwendet würde, wollen wir die Kosten für DAC senken und sie zu einer attraktiven Lösung machen. Und jetzt kommt der spannende Teil: Da wir Abwärme nutzen, können wir Insetting betreiben und uns aktiv an den Dekarbonisierungsstrategien unserer Partner beteiligen.



Bild 3: Unser NeoDuo im Einsatz beim Kunden in Nordrhein-Westfalen
Bild 3: Unser NeoDuo im Einsatz beim Kunden in Nordrhein-Westfalen

Der Weg nach vorn: Regulierung, Bewusstsein und Skalierung

Wenn Direct Air Capture und andere CDR-Technologien die Emissionen merklich senken sollen, brauchen wir mehr als nur Innovation – wir brauchen unterstützende und wirksame Vorschriften, die dem Ausmaß der Herausforderung gerecht werden. Jüngste internationale Regulierungsbemühungen schaffen eine vielversprechende Grundlage für die Skalierung von CDR-Technologien.

Nehmen wir zum Beispiel den U.S. Inflation Reduction Act, der mit bis zu 180 US-Dollar pro Tonne CO₂, das abgeschieden und sicher gespeichert wird, erhebliche Anreize für Projekte zur CO2-Entnahme bietet. Nördlich der Grenze bietet Kanadas Gesetzentwurf C-59 einen soliden Rahmen für die Unterstützung von DAC-Technologien, der eine Steuergutschrift von 60 % für förderfähige Projekte bis 2030 vorsieht. Unterdessen bereitet sich Japan auf seinen Compliance-Markt nach 2026 vor, um innovative Methoden zur Kohlenstoffentfernung zu integrieren, wie z. B. Blue-Carbon-Lösungen an der Küste, Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) und DAC. 

Diese Bemühungen sind mehr als nur politische Gespräche; es handelt sich um greifbare, strategische Maßnahmen, die eine neue Welle von Klimaschutzmaßnahmen darstellen. Entscheidend ist, dass sie auch dazu beitragen, Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung anzugehen – denn es herrscht viel Verwirrung. Die Menschen befürchten, dass CDR nur ein Deckmantel für die fossile Brennstoffindustrie ist, und kein legitimes Instrument zur Beseitigung von Emissionen, die anders nicht vermieden werden können.


Wir müssen diese Erzählung ändern. Bei CDR geht es nicht darum, die Umweltverschmutzer aus der Pflicht zu nehmen. Es geht darum, mit dem umzugehen, was übrig bleibt, nachdem wir die Emissionen so weit wie möglich reduziert haben. Wir brauchen gut durchdachte Regeln, die Missbrauch verhindern und gleichzeitig eine verantwortungsvolle und effektive Anwendung fördern. Und, was genauso wichtig ist, wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen verstehen, was diese Technologien können und was nicht. Sie sind keine Wunderwaffen, aber sie sind wesentliche Teile des Puzzles.


Der Weg in eine CO2-freie Zukunft ist voller Hürden, aber eines ist sicher: Um dorthin zu gelangen, brauchen wir sowohl traditionelle Emissionssenkungen als auch innovative Technologien, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Es geht nicht darum, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Wir müssen alle verfügbaren Mittel einsetzen, um die Lücke zu schließen und den bereits angerichteten Schaden zu beseitigen.


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